Leo Nikolajewitsch Tolstoi

1828–1910

Graf Lew (Leo) Nikolajewitsch Tolstoi, geb. in Jasnaja Poljana, gest. in Astapowo.

Aus einer gräflichen Adelsfamilie stammend, führt er Titel Graf erst seit 1724.

Lew wuchs als Frühwaise bei Verwandten auf, studierte Jura und orientalische Sprachen, war bis 1855 Fähnrich beim Militär und privatisierte von da an, unterbrochen von Auslandsreisen, auf seinem Gutshof in Jasnaja Poljana oder in St. Petersburg bzw. Moskau.

Tolstoi litt sehr unter dem Widerspruch zwischen seiner Stellung als Gutsbesitzer und seinen ihm eigenen sozialreligiösen Ideen. Aus diesem Grunde verließ er sogar 1910 Haus und Familie, um in asketischer Einsamkeit seine letzten Jahre zu verbringen, was ihm nicht mehr gelang, da eine Erkrankung unterwegs noch im gleichen Jahr seinen Tod herbeiführte.

Zu Beginn (1851) schrieb Tolstoi einige selbstbiographischen Bände betr. Kindheit und Jugend, von Erlebnissen im Kaukasus (Die Kosaken), 1864–69 folgte der große Roman Krieg und Frieden, der geschichtsphilosophischen Charakter besitzt und mehrfach verfilmt wurde. Der Tod des Iwan Iljitsch und Anna Karenina folgten, dann die zeitlose Kreutzersonate sowie Herr und Knecht, später dann Auferstehung, Das Licht leuchtet in der Finsternis und Der lebende Leichnam.

Nach seiner Bekehrung stellt er in verschiedenen Schriften seine Weltanschauung dar („Worin besteht mein Glaube?“, „Das Reich Gottes ist in uns“). Man erfährt sein ständiges Suchen nach Wahrheit. Tolstojs Ethik ruft nach Unterordnung aller Lebenserscheinungen unter geistig-moralische Prinzipien. Er war schonungslos ehrlich auch gegen sich selbst.

1901 aus der orthodoxen Kirche  ausgestoßen, da er nicht nur den Sinn von Kunst und Wissenschaft leugnete, sondern auch politische und kirchliche Institutionen regelrecht bekämpfte. Dabei stand im Grunde immer ein tiefer Glaube an die Existenz und das Wirken Gottes hinter seinen Schriften und Gedanken.

Als Erzähler war Tolstoj ein großer Meister präziser Darstellungen von Menschen und Natur, voll farbiger Anschaulichkeit nicht nur von realen Begebenheiten, sondern auch seelischen Vorgängen und Entwicklungen. Meist ging es ihm um Darstellung von Familienschicksalen. Die Familie stand bei ihm im Zentrum des sittlichen Lebens.

Tolstojs Einfluß auf die realistische und naturalistische Kunst nicht nur Rußlands war sowohl im 19. als auch im 20. Jh. evident.