Die Zeit Descartes, Pascals und spinozas

Baruch de Espinoza

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Spinoza

Baruch de Spinoza, Portrait aus der Gemäldesammlung der Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel.

Baruch de Espinoza

1632–1677

lebte der bedeutende Baruch de Espinosa (Spinoza), der es mehr als wert ist, dass wir uns eingehender mit ihm befassen. Die Vorfahren stammen aus Espinosa, das in der spanischen Provinz León liegt. Es war eine zum Christentum  bekehrte jüdische Familie („Conversos“), aus der auch Gelehrte, Priester und sogar mit Kardinal  Diego de Espinosa ein Großinquisitor hervorgingen.

Über Nantes ging die Familie nach Amsterdam, wo man wegen der Religionsfreiheit ein unverfolgtes Leben führen konnte. Die Mutter starb, als Baruch (= Benedictus, der Gesegnete) sechs Jahre alt war. Früh schon zog er sich den Tadel der dortigen Rabbiner wegen angeblicher ketzerischer Äußerungen zu.

Neben der Philosophie waren für ihn Freundschaften der wichtigste Halt in seinem Leben sowie Freude an guten und schönen Dingen. Weder Reichtum oder Ehre (honor) noch Libido waren für ihn wahre Güter. Das höchste Gut war für ihn die Erkenntnis der Einheit, die den Geist mit der gesamten Natur verbindet. 1656 wurde er exkommuniziert und ging nach Rhijnsburg, das sechs Meilen von Leiden entfernt liegt, einem Vorort von Den Haag. Hier schliff er Linsen und schrieb an seiner Ethik. Was gegen die Vernunft ist, ist widersinnig und darum zu verwerfen. Es genügt, an die Existenz Gottes zu glauben, an ein höchstes Wesen, das Gerechtigkeit und Nächstenliebe liebt. Jede andere Lehre ist überflüssig. Die Offenbarung der Natur ist die wahrste und universellste Stimme Gottes. Beim Lesen des Neuen Testaments empfand er nichts als Bewunderung für Christus. „Ich behaupte, dass nie jemand außer Christus ohne Mitwirkung der Phantasie eine Offenbarung Gottes empfangen hat, weder in Worten noch in Gesichten“. Gegen diese Behauptung gab es nach der Veröffentlichung großen Protest.

Johan de Witt, Gemälde von Jan de Baen, Amsterdam, Rijksmuseum.
Johan de Witt, Gemälde von Jan de Baen, Amsterdam, Rijksmuseum.

Sein Beschützer war Johan (Jan) de Witt, niederländischer Staatsmann, der Spinoza bewunderte. In der Nähe Den Haags war er in der Nähe de Witts. Spinoza bestritt sein Leben mit durchschnittlich 4½ Sous am Tag! Die Protektion de Witts fiel dahin, als der Pöbel die zwei Brüder Jan und Cornelius de Witt in den Straßen Den Haags ermordete (1672). Nach de Witt ging die Staatsgewalt an Wilhelm von Oranien  über.


Im Zeitraum von 1656 bis 1680 haben ca. 50 kirchliche Erlasse gegen den Verkauf und das Lesen von Spinozas Werken stattgefunden. Diese Verbote trugen mutmaßlich zur Verbreitung seines Ruhmes in Deutschland , England und Frankreich  bei. Ein Einfluß auf die französische Aufklärung muss angenommen werden, denn dort machte man sich Spinozas Bibelkritik als Waffe gegen die Kirche  zunutze. Eine ordentliche Professur der Philosophie von Seiten des liberalen pfälzischen Kurfürsten lehnte Spinoza ab.

Bestattet wurde er in Den Haag, nahe beim Grabe de Witts.

 

Spinozas Aussage über Gott:
Die Realität wird in zwei Formen wahrgenommen: als Ausdehnung der Materie  und als Denken oder Geist. Realität ist die Vereinigung von Materie  und Geist. Materie  ist äußerlich wahrnehmbare, Geist innerlich wahrgenommene Realität. „Alle Dinge, wenn auch in verschiedenen Graden, sind beseelt.“ Gott ist die der Materie  und dem Geist zugrunde liegende und sie einigende Realität. Materie  und Geist sind innewohnende und essentielle Attribute oder Aspekte Gottes. Gott und „Substanz“ sind identisch mit Natur und der Gesamtheit alles Seienden. Deshalb ist Spinoza ein Pantheist.

Die einzelnen Wesenheiten der Natur werden von ihm „Modi“ genannt, veränderliche Modifikationen und Verkörperungen von Substanz, Wesenheit, Materie  und Geist.
Die Modi der Materie  sind in ihrer Totalität der Körper Gottes, die Modi des Geistes sind in ihrer Totalität der Geist Gottes. Realität ist in allen ihren Modi und Attributen Gott. „Alles was ist, ist in Gott.“

Manche Übereinstimmung kann man mit Scholastikern (Novalis) erkennen, und er ist der Meinung Thomas von Aquins: Es ist absurd, aber bequem, für Gott das männliche Fürwort zu verwenden.

Gott ist die causa sui, die Ursache seiner selbst. Er ist die Summe aller Geistigkeit (Beseelung, Empfindung, Denken) und aller Materie , alles Seienden. Er ist auch nicht an einem Ort, sondern allenthalben.

Es gibt in der Natur auch keine Absicht in dem Sinne, dass Gott einen Zweck erreichen will. Er hat keine Wünsche und Ziele, außer in dem Sinne, dass die Totalität alle Wünsche und alle Ziele aller Modi und deshalb aller Lebewesen umfaßt. In der Natur gibt es nur unvermeidlich aus vorangegangenen Ursachen und innewohnenden Eigenschaften hervorgehende Wirkungen. Es gibt keine Wunder, denn der Wille Gottes und die feststehende, unveränderliche Ordnung der Natur sind eins. Der Mensch  ist nur ein Teilchen des Universums, in dem alle Dinge nur einem einzigen System von Gesetzen angehören. In dieser Ordnung ist ein Wirbelsturm ebenso natürlich wie die Pracht eines Sonnenunterganges und die Erhabenheit des Meeres.

Spinoza sprach oft in Gottesbegriffen, die gleich lauteten wie bei Thomas von Aquin . Von der ganzen Ordnung der Natur war Spinoza berauscht und erkannte in der Welt dieser Gesetze eine göttliche Offenbarung.

Wissenschaftler untersuchen diese Gesetze, entziffern selbst in den geringfügigsten und nüchternsten Einzelheiten diese Offenbarung, denn „je mehr wir die Einzeldinge erkennen, um so mehr erkennen wir Gott.“ Diesen Satz hielt Goethe  für einen der tiefgründigsten der ganzen Literatur. Bei Spinoza liegen Wissenschaft und Religion nicht mehr im Widerstreit, sie sind vielmehr eins.

Physiker sind der Meinung, Materie  ist Energie. So gesehen ist nach Spinoza Gott Energie, und Energie könnte neben Materie  und Geist als drittes Attribut genannt werden, das wir als Wesenheit der Realität ausmachend wahrnehmen. Das Bemühen um Selbsterhaltung, der Existenzkampf, ist das wirkliche Sein aller Dinge. Alle Antriebe kommen aus ihm und sind letzten Endes selbstsüchtig. Die Vernunft fordert demnach, dass jeder sich selbst liebe, seinen Nutzen suche, dass jeder sein Sein, so viel es ihm bedeutet, zu erhalten strebt. „Unter gut (bonum) verstehe ich das, wovon wir sicher wissen, dass es uns nützlich ist.“

Sich imaginärer Belohnung und Strafen nach dem Tode als Anreiz zu moralischem Verhalten zu bedienen, fördert den Aberglauben und ist einer reifen Gesellschaft durchaus unwürdig. Tugend sollte ihr eigener Lohn sein. Spinoza nahm dem Christentum  übel, das Leben als Jammertal und den Tod als Tor zu Himmel oder Hölle zu betrachten. „Der freie Mensch  denkt nicht an den Tod, und seine Weisheit ist ein Nachsinnen nicht über den Tod, sondern über das Leben-“
„Wer richtig erkannt hat, dass alles aus der göttlichen Natur erfolgt und nach den ewigen Gesetzen und Regeln der Natur geschieht, der wird nichts finden, was des Hasses, des Gelächters oder der Geringschätzung wert wäre; auch wird er nicht nur bedauern, sondern soweit wie möglich versuchen zu helfen.“

Spinoza war in erster Linie Jude. War er auch ausgestoßen, so konnte er das mächtige Erbe, Jahre des Versenkens in das Alte Testament , den Talmud, und die jüdischen Philosophen nicht vergessen.

„Die geistige Liebe der Seele zu Gott ist Gottes Liebe selbst, womit Gott sich selbst liebt.“
Der deutsche Geist war empfänglicher für diese Seite von Spinozas Denken als der französische. Lessing hat angeblich gestanden, in seinen reiferen Jahren Spinozaanhänger geworden zu sein: „Es gibt keine andere Philosophie als die Spinozas“, hat er gesagt. Herder glaubte, in der Ethik die Versöhnung von Religion und Philosophie gefunden zu haben, Goethe  war für längere Zeit von Spinozismus regelrecht durchdrungen.

Spinoza schrieb nicht nur seine Philosophie, er lebte sie auch.

 



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