Künstler, Schriftsteller und Philosophen - Persönlichkeiten des 18. Jahrhunderts

Johann Wolfgang Goethe

Zum Artikel gehen » Artikel für später merken

Johann Wolfgang von Goethe, Gemälde von Joseph Stieler 1828.
Johann Wolfgang von Goethe, Gemälde von Joseph Stieler 1828.

Johann Wolfgang von Goethe

1749–1832

Johann Wolfgang von Goethe, geb. in Frankfurt am Main, gest. in Weimar, gilt als der bedeutendste Dichter der deutschen Sprache.

Der Vater, Johann Caspar Goethe, entstammte einem thüringisch-ländlichen Handwerkergeschlecht, studierte Jura und war Kaiserlicher Rat. Die 21 Jahre jüngere Mutter, Elisabeth Textor, besaß ein heiteres, phantasiereiches Gemüt. Von fünf jüngeren Geschwistern Goethes blieb nur Cornelia am Leben (1750–1777).

Goethe lernte Lateinisch, Griechisch, Französisch, Englisch, Italienisch und Hebräisch. Er zeichnete, musizierte und schrieb Verse im Schulstil seiner Zeit schon als Jugendlicher.

Die Leipziger Studentenzeit Goethes (Studium der Rechte) dauerte drei Jahre. Leipzig (Klein-Paris) war der Mittelpunkt der eleganten, französisch orientierten Gesellschaftskultur des Rokoko. In diese Zeit fällt der Briefwechsel mit dem Theologen E. Th. Langer.
Ein schwerer körperlicher und seelischer Zusammenbruch, dem Tode nahe, beschloss 1768 diese Leipziger Studentenzeit.
Die eineinhalbjährige Rekonvaleszenz zu Hause in Frankfurt nutzte Goethe für mystische Lektüre und naturwissenschaftliche Schriften.
Er beendete sein Studium in Straßburg.

Die Liebe zu Friederike Brion und der Umgang mit Herder bewirkten eine erste Wandlung in Goethes Leben. Homer, Pindar, Shakespeare, Ossian und die Bibel wurden seine Vorbilder. Die Schönheit des Volksliedes ging ihm auf: das Mailied und Willkommen und Abschied sind an Friederike gerichtet.
Hier bereits zeigt sich eine Sprachkraft, wie sie die deutsche Dichtung bis dahin nicht gekannt hatte.

Mailied

Wie herrlich leuchtet mir die Natur!
Wie glänzt die Sonne, wie lacht die Flur!
Es dringen Blüten aus jedem Zweig
Und tausend Stimmen aus dem Gesträuch,
Und Freud und Wonne aus jeder Brust.
O Erd, o Sonne, o Glück, o Lust,
O Lieb, o Liebe, so golden schön,
Wie Morgenwolken auf jenen Höhn.
Du segnest herrlich das frische Feld,
Im Blütendampfe die volle Welt.
O Mädchen, Mädchen, wie lieb ich dich,
Wie blinkt dein Auge, wie liebst du mich;
So liebt die Lerche Gesang und Luft
Und Morgenblumen den Himmelsduft,
Wie ich dich liebe mit warmem Blut,
Die du mir Jugend und Freud und Mut
Zu neuen Liedern und Tänzen gibst,
Sei ewig glücklich, wie du mich liebst!

(J.W. von Goethe)

 

Nach Beendigung des Studiums war Goethe in Frankfurt Rechtsanwalt und genoß die väterliche Unterstützung.
Literarische Arbeiten aber standen für ihn im Vordergrund, ebenso der literarische Darmstädter Kreis, wo er besonders von Johann Heinrich Merck beeinflußt war.

Es folgte die „Frankfurter Zeit“ 1771–1775 als Praktikant am Reichskammergericht in Wetzlar. Sein Verlöbnis mit Lili Schönemann wurde gelöst, da Goethe sich noch nicht dauernd zu binden vermochte. In diese Zeit fällt u.a. das Drama Götz von Berlichingen im Jahr 1773, dramatische Entwürfe zum Faust; Mahomet, Caesar und Sokrates . Die Suche nach dichterischem Ausdruck findet sich vor allem in dem Briefroman Die Leiden des jungen Werthers (1774), im Urfaust und später in dem Entwurf zu Egmont 1787. Die Ausdrucksform fand Goethe immer wieder in der Hymne, wie er göttliche Lebensgewalt in der Natur empfand. Die unbeirrbare Treue zur eigenen Bestimmung zieht sich hin vom Götz bis zum Egmont, vom Werther bis zum Tasso, den großen Gestalten seiner Frühdichtung.
Die Weimarer Zeit 1775–85 erfolgte auf Einladung von Karl August von Sachsen-Weimar. Aus dem Gast wurde bald ein hoher Staatsbeamter (Geheimer Legationsrat – Geheimer Rat – Leiter der Finanzkammer 1782).
Goethes Sinn für die Wirklichkeit wurde durch konkrete Verwaltungsaufgaben und hohe Verantwortung des Staatsamtes geschärft. So hatte er u.a. die Leitung des Ilmenauer Bergwerks übernommen. Er lernte in Charlotte von Stein eine bewundernswerte Frau kennen und lieben, die durch ihren harmonischen Ausgleich von Freiheit und Person und Bindung an Sitte und Gesetz imponierte.

In Iphigenie wird Goethes Humanität zum Kern der Dichtung. Entsagung wird zur Vorbedingung menschlicher Vollendung.

Die Italienreise (1786–88) erfolgte fast fluchtartig aus der Gebundenheit und Enge der höfischen Gesellschaft. Südliches Volksleben, die Landschaft des Mittelmeeres und ihre Pflanzenwelt, vor allem aber die klassischen Kunstüberlieferungen hinterließen einen überaus starken Eindruck. Die Erscheinungen der Kunst und der Natur gingen ihm als einfache Urformen auf, die allem Lebendigen und Gestalthaften zugrunde liegen.

In Weimar heiratete Goethe Christiane Vulpius. Sie gebar ihm fünf Kinder, von denen nur das älteste am Leben blieb. Mit Einwilligung des Herzogs entsagte Goethe 1790 den Amtsgeschäften, behielt nur die Oberaufsicht über das Theater und ging in höfischer Mission ein zweites Mal nach Italien, aber nur bis Venedig , wo er jetzt auch die Schattenseiten des Landes sah (Venezianische Epigramme).

Mit dem Herzog besuchte er, nach Hause zurückgekehrt, u.a. das preußische Feldlager in Schlesien. Mehrere Versuche, die Französische Revolution  künstlerisch zu verarbeiten, mißlangen. Viel Zeit widmete Goethe seinen naturwissenschaftlichen Forschungen auf dem Gebiet der Farbenlehre. Auch biologischen Studien war mit großem Interesse zugetan. Er, der Erzrebell unter der Maske des Konventionalismus, hatte in seiner Metamorphose der Pflanzen schon auf die Evolution hingewiesen, aber wenig Freunde gewonnen für diese Theorie.
Zu Goethes Naturbetrachtung: Die Einzelerscheinung ist für ihn nur die individuelle Ausformung des ewigen Grundtypus. Daher auch die Typik in der Figurengestaltung seiner Dichtungen; daher das naturwissenschaftliche Grundgesetz von Anziehung und Abstoßung als Gleichnis menschlicher Beziehungen (!) in dem Roman Die Wahlverwandtschaften.

Schiller war es, der Goethe immer wieder zur Dichtung zurückbrachte. Anregend und bestätigend schufen sie z.B. ihre Balladen. Schillers Drängen ist die Vollendung des Wilhelm Meister und die Wiederaufnahme der Arbeit am Faust zu verdanken.

Wilhelm Meisters Lehrjahre sind die Schilderung des Bildungsprozesses und Bildungszieles klassischer Humanität. Sinn und Ziel ist die harmonische und umfassende Ausbildung des Individuums, seiner Anlagen und Kräfte, ein Ideal, wie es neben Goethe und Schiller  vor allem Wilhelm Humboldt vertreten hat. Der ganzheitlich ausgebildete Mensch  ist die vollkommene Blüte des Weltganzen (Winckelmann-Aufsatz). Es geht Goethe nicht um die Verbesserung der Welt, wohl aber darum, seiner eigenen geistigen Entwicklung stets höhere Ziele zu setzen.
Die Altersepoche Goethes (1805–32) brachte im Jahrzehnt nach Schillers Tod 1805 die Begegnungen mit Napoleon  beim Erfurter Fürstenkongress und Rhein- sowie Mainfahrten, die Goethe das für den Westöstlichen Divan entscheidende Liebeserlebnis mit Marianne Willemer schenkten (1814/15). Die Gedichtsammlung Westöstlicher Divan war auch ein Zeichen der Verjüngung, die der Dichter bei der Beschäftigung mit nahöstlicher Kultur zu erfahren glaubte.
1816 starb Christiane, 1817 legte Goethe gekränkt die Weimarer Theaterdirektion ab. Er verließ Weimar nur zu Erholungsreisen nach Karlsbad und Marienbad. In Marienbad erfaßte ihn heftige Leidenschaft für die junge Ulrike von Levetzow, aber den Schmerz des Entsagens hatte er zu ertragen (Marienbader Elegien).

Um seine Haupt- und Lebenswerke zu vollenden (Wilhelm Meisters Wanderjahre und den zweiten Teil des Faust), wurde er von J.P. Eckermann unterstützt.

In seiner Altersepoche erfuhr Goethe insofern eine starke Veränderung, als sein Ideal der harmonischen Selbstausbildung fragwürdig erschien. Die Leistung für die Gemeinschaft, erwachsen aus freier Selbstbeschränkung, wurde jetzt entscheidend. Im Roman Die Wahlverwandtschaften (1809) wird Recht und Selbsterfüllung des Individuums bedingungslos den sittlichen Bindungen und Gesetzen der Gesellschaft untergeordnet. Der Anspruch der Welt und der Gesellschaft wird immer übermächtiger gegenüber dem anthropozentrischen Humanitätsideal (Wilhelm Meisters Wanderjahre). Das aus Dienst an der Sache erwachsene und notwendig auf einen bestimmten Beruf, auf ein einzelnes Handwerk begrenzte Können nimmt nun den höchsten Rang ein. Auch im Faust II ist die Verschiebung des Bildungsideals erreicht. An diesem seinem Hauptwerk arbeitete Goethe von 1825 bis 1831. Die Gestalt des Helden tritt zurück hinter der Fülle der sich in allen ihren Bereichen entfaltenden Welt. Herrschertum, Mythologie, Klassisches Altertum , Poesie, Staat, Krieg, Kolonisation sind die Faustschen Themen.

Goethe forderte das dienend tätige Anerkennen des Seins, in dem der Mensch  sich vorfindet.

Der Mensch  ist auf den eigentlichen Punkt hinzuführen, wo er praktisch wirken kann und soll. Die Weltmitte liegt im Ganzen der Natur, der das Ich seine Anlagen verdankt. Die Forderung des Tages ist vom Menschen zu erfüllen. Erfüllt er sie, wird ihm soviel Wahrheit und Gewißheit zuteil, wie er für die kurze Strecke seines Lebens bedarf.

Diese Weltfrömmigkeit ruhte in der Überzeugung vom gottgewirkten Sinn des Daseins, von der Positivität der Welt, ein Glaube, dessen Konflikt mit dem Unglauben er als das Thema der Weltgeschichte bezeichnete!

Goethe beherrschte alle poetischen Ausdrucksmöglichkeiten souverän. Seinen Faust II hatte er versiegelt der Nachwelt hinterlassen, da er das Unverständnis seiner Mitwelt ahnte. Und tatsächlich hatte der Realismus des jungen Deutschland  zum alten Goethe weder von der künstlerischen Seite noch von der politischen einen Zugang. Die christlich-nationale Opposition warf ihm sogar Heidentum und Weltbürgertum vor.

Aber für den Liberalismus der Bismarckzeit stand der klassische Goethe im Blickpunkt.

Nicht abzuschätzen ist Goethes Nachwirkung im deutschen Schrifttum. Die deutsche Lyrik bis zu Stefan George, H. von Hofmannsthal, R. M. Rilke und Hans Carossa ist Goethe verpflichtet. Seine Wirkung im Ausland ist ebenso bedeutend, besonders auf Romain Rolland, André Gide, P. Valéry, sowohl in England auf Byron und Shelley als auch in Amerika . Das Erscheinen des Werther löste selbst in Polen und Rußland ein Werther-Fieber aus. Die russischen Dichter des 19. Jh.s wie Puschkin , Turgenjew , Tolstoj  und Dostojewskij  haben sich immer wieder mit Goethes Werk und Gedankenwelt auseinandergesetzt.

Aber auch an kritischen Stimmen von Kierkegaard  bis P. Claudel, T. S. Eliot und Karl Jaspers hat es nie gefehlt. Dies ändert nichts daran, dass Goethe sowohl als Mensch  als auch als Dichter das Symbol eines universellen europäischen Geistes geworden war.

Die Verse, die Goethe am 28. August 1831 noch einmal an der Wand einer Jagdhütte bei Ilmenau las, hatte er 52 Jahre zuvor dort ins Holz geritzt.

„Über allen Gipfeln ist Ruh.
In allen Wipfeln spürest du kaum einen Hauch.
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde ruhest du auch.“

(J. W. von Goethe)

 

 

Erlkönig

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
er hat den Knaben wohl in dem Arm,
er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.

„Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?“
„Siehst Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Kron und Schweif?“
„Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.“

„Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel ich mit dir,
manch bunte Blumen sind an dem Strand,
meine Mutter hat manch gülden Gewand.“

„Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
was Erlenkönig mir leise verspricht?“
“Sei ruhig,bleibe ruhig, mein Kind;
in dürren Blättern säuselt der Wind.“

„Willst, feiner Knabe, du mit mir gehen?
meine Töchter sollen dich warten schön,
meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
und wiegen und tanzen und singen dich ein.“

„Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort?“
„Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau.“

„Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.“
„Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan!“

Dem Vater grauset’s; er reitet geschwind,
Er hält in den Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.

(J. W. von Goethe)

 



Weblinks